Gegenwart
Im Juli 2008 waren mein Vater und ich erstmals im nördlichen Ostpreußen und damit auch auf dem Gut Paradeningken. 2010 und 2012 folgten weitere Besuche.
Wegweiser zum Gut an der ehemaligen Reichstraße 1.
Von Insterburg in Richtung Norkitten auf der ehemaligen Reichsstraße 1 fahrend, taucht kurz vor Norkitten auf der linken Seite der Wasserturm auf, der auf dem ehemaligen Gutsinnenhof steht. Zu deutscher Zeit gab es den Wasserturm noch nicht, d.h. er wurde nach 1945 errichtet.
Blick von der Reichsstraße 1 in Richtung Paradeningken..
Die Zufahrt zum Gut ist teilweise mit Betonplatten ausgelegt. Je weiter man sich dem Gut nähert, desto schlechter wird der Weg. 2008 waren so starke Bodenwellen vorhanden, die man mit einem PKW kaum bewältigen konnte. Zwischen 2008 und 2010 wurde der Weg ausgebessert, so dass man das Gut problemlos erreichen konnte. Auf halber Strecke zum Gut überquert man auch heute noch die Eisenbahnlinie Königsberg - Insterburg.
Die Zufahrt zum Gut.
Hinter dem Bahnübergang passiert man eine russische Neubausiedlung. Hat man diese passiert, betritt man das ehemalige Gutsgelände. Da wir durch Fotos und Berichte von vor uns dort gewesenen Besuchern vorbereitet waren, hatten wir keine großen Erwartungen. Von sämtlichen Gebäuden, die außerhalb des Gutsinnenhofes gestanden haben, standen 2010 noch zwei ehemalige Insthäuser. Es sind die Nummern 11 und 12 auf dem Gutsplan (Gutsplan).
Die beiden einzigen Gebäude (Insthäuser), die 2012 noch nicht komplett zerstört waren.
Das Gebäude im Vordergrund wurde 2008 als Stall genutzt und das Haus im Hintergrund (Beamtenhaus) als Wohnhaus. Von den vorhandenen vier Wohnungen des Beamtenhauses war 2008 nur die linke bewohnt. Genau in dieser Wohnung haben meine Urgroßeltern gelebt. 2008 wohnte ein Rentnerehepaar in der Wohnung. Der Ehemann stammte aus Kasachstan. Unser Dolmetscher erzählte dem Mann, dass unsere Vorfahren bis 1945 in der Wohnung lebten. Daraufhin hat er uns angeboten, die Wohnung zu besichtigen. Das war für uns ein besonderes Erlebnis.
2010 war das Rentnerehepaar leider verstorben. Die Wohnung hatte deren alkoholabhängiger Sohn übernommen, der uns suspekt vorkam. Aus diesem Grund haben wir keinen Kontakt zu ihm gesucht. Zu diesem Zeitpunkt waren zwei weitere Wohnungen bewohnt. In der dritten Wohnung von links lebte eine Litauerin, die uns bereitwillig ihre Wohnung zeigte.
2010 waren im ehemaligen Beamtenhaus drei von vier Wohnungen belegt.
2012 waren noch zwei Wohnungen belegt. Die alte Dame, die in der rechten Wohnung lebte, war zwischenzeitlich verstorben. Die anderen Bewohner hatten, aus welchem Grund auch immer, nichts besseres zu tun, als ein Loch in das Mauerwerk der rechten Wohnung zu brechen.
Das zwischen 2010 und 2012 ins Mauerwerk der vierten Wohnung gebrochene Loch.
2017 ist der Verfall bzw. Rückbau des Beamtenhauses deutlich vorangeschritten. Die beiden ersten Wohnungen werden immer noch genutzt, die beiden letzten Wohnungen dienten in den vergangenen Jahren als Mauerstein- und Brennholzspender. Der oben zu sehende Mauerdurchbruch wurde zwischen 2012 und 2017 "geringfügig" vergrößert.
Die drei folgenden Fotos hat mir freundlicherweise Herr Kardel Werschkull überlassen, der das Gut im Herbst 2017 besuchte.
Die Rückseite des Beamtenhauses.
Da die Eingangstür der vierten Wohnung den verbliebenen Bewohnern wohl nicht breit genug war, hat man auch dort das Mauerwerk entfernt. Direkt über dem Mauerdurchbruch ist das Dach teilweise eingebrochen.
Die Vorderseite des Beamtenhauses 2017.
Nachdem das Außenmauerwerk entfernt wurde, hat man damit begonnen, die Wohnung komplett zu entkernen. Es wurden sowohl die Innenwände, als auch die Fußböden, die Decken und die Treppe entfernt. Man sagt den ostpreußischen Wintern ja nach, dass sie lang und kalt sind. Da benötigt man natürlich viel Brennholz....
Die entkernte vierte Wohnung. Das Dach und der Giebel sind auch schon in Mitleidenschaft gezogen.
Aus dem Jahr 2024 liegt mir ein weiteres Foto des Beamtenhauses vor. In den vergangenen Jahren wurde das Beamtenhaus quasi halbiert, d.h. die dritte und vierte Wohnung wurden abgerissen und die Steine vermutlich verkauft. Die erste Wohnung soll noch bewohnt sein, während die zweite Wohnung leer steht.
Das halbierte Beamtenhaus im Jahr 2024.
Heute lässt sich leider nur noch erahnen, wo das Haupttor vom Gut war, da sämtliche Gebäude links und rechts vom Haupttor nicht mehr existieren. Auf Fotos, die Anfang der 1990er Jahre aufgenommen wurden, ist noch ein Großteil der Gutsgebäude zu sehen. In den folgenden Jahren wurden immer mehr Gebäude bis auf die Grundmauern abgetragen. 2012 sind nur noch Mauerwerksreste vorhanden, die in den folgenden Jahren jedoch auch komplett entfernt wurden.
Der Gutsinnenhof 1993.
Der Gutsinnenhof 2008. Aufgenommen vom selben Standpunkt aus, wie beim vorhergehenden Bild.
Ging man 2008 im Uhrzeigersinn über den Gutsinnenhof, fand man als ersten Orientierungspunkt die Mauerwerksreste des Sauenstalls. Alle ehemals vorgelagerten Gebäude sind restlos verschwunden. Ging man am Jungviehstall weiter in Richtung der großen Scheune, die stirnseitig des Innenhofes lag, passierte man die Reste des Sterken- und Bullenstalls und der großen Waage.
Von der großen Scheune standen 2008 noch größere Teile des Mauerwerks, da hier Feldsteine vermauert waren, für die die Russen anscheinend keine Verwendungen hatten. 2010 waren von dem 2008 noch vorhandenen Mauerwerk schon zahlreiche Bereiche zusammengefallen.
Links und rechts das Außenmauerwerks der großen Scheune.
Auf der rechten Gutsseite ist 2008 von den Gebäuden kaum noch etwas zu erkennen. Vom Kuh- und Pferdestall sind nur noch spärliche Mauerwerksreste vorhanden.
Dort wo die Büsche wachsen, standen Kuh- und Pferdestall.
Es war insgesamt erschreckend, wie sich das Gut bzw. die noch vorhandenen Reste von 2008 bis 2012 verändert haben. Waren 2008 noch klare Strukturen zu erkennen, so war das 2012 schon nicht mehr der Fall. Im Jahr 2024 ist das Gut, das dort über Jahrhunderte stand, nahezu komplett verschwunden. Lediglich das Beamtenhaus steht noch zu Hälfte. Dessen Tage sind wohl aber auch gezählt.....
Paradeningken von oben
Da von vielen Gebäuden nicht mal mehr die Grundmauern vorhanden waren, interessierte uns, ob aus der Luft noch zu erkennen ist, wo die komplett abgebrochenen Gebäude gestanden haben. Die Hoffnung war, dass sich die Gebäudestandorte noch durch Vegetationsunterschiede oder Bodenanomlien abzeichnen.
Im Frühjahr 2010 nahmen wir Kontakt zu dem für die Reise im Juli 2010 vorgesehenen Reiseleiter Eugen (Ewgeni Snegowski) auf. Wir baten ihn, zu klären, ob es überhaupt eine Möglichkeit gibt, im Königsberger Gebiet einen Rundflug zu chartern. Er vermittelt uns daraufhin den Kontakt zu einem Piloten, der entsprechende Rundflüge anbot.
Nachdem alle Modalitäten geklärt waren, trafen wir uns auf dem Flughafen Tapiau. Der Rundflug begann mit kleineren Hindernissen. Erst ließ sich die Cockpittür nicht schließen und dann sprang der Motor nicht sofort an. Da der Pilot keinen lebensmüden Eindruck machte, sind wir nicht wieder ausgestiegen....
Die Maschine, mit der wir geflogen sind.
Von Tapiau aus sind wir auf direktem Weg nach Paradeningken geflogen. Da der Pilot wusste, dass wir fotografieren wollten, ist er in Schräglage einige Kurven geflogen. So konnten wir die unter uns liegenden Ortschaften gut fotografieren. Neben Paradeningken sind wir auch die Güter Kathrinlacken und Schloßberg angeflogen, da wir Verwandte hatten, die dort ihre Wurzeln hatten.
Die Hoffnung, bereits abgetragene Gebäude aus der Luft anhand von Vegetationsveränderungen zu erkennen, hat sich leider nicht erfüllt. Auf Paradeningken war lediglich zu erkennen, wo die Feldscheune gestanden hat. Die Insthäuser, die Ställe und die Schmiede haben leider keinerlei Spuren hinterlassen.
Paradeningken aus der Vogelperspektive. Das Buschwerk und die Mauerwerksreste kennzeichnen die ehemaligen Gebäude.