Flucht - Gut Paradeningken

Gut Paradeningken
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Die Flucht

Herbst 1944

Ostpreußen galt bis Mitte des Jahres 1944 als sicher. Im Herbst 1944, als die russische Bedrohung zunahm, wurde die Paradeningker erstmals mit der Flucht konfrontiert. Es trafen Trecks aus der Gumbinner-, Tilsiter-, Eydkuhner und Memeler Ecke ein. Zu dieser Zeit wurden die Trecks noch von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) koordiniert. Dadurch waren die Paradeningker stets vorab informiert, wann welche Trecks ankamen und untergebracht werden mussten. Problematisch wurde es, als sich die Wehrmacht ebenfalls auf dem Gut einquartierte. Da es keine Absprachen zwischen Wehrmacht und NSV gab, mussten die Flüchtlinge teilweise an geschützten Stellen im Freien übernachten, da sämtliche Gebäude von der Wehrmacht in Anspruch genommen wurden.
Der Gutspächter Friedrich Zick (obere Reihe Mitte) und seine Frau Margarete Zick (mittlere Reihe erste von links), die den Fluchtbericht verfasste.
In den Ställen und Scheunen hatte sich eine Flak-Geräteausgabestelle einquartiert. Als sowohl die NSV weitere 80-100 Flüchtlinge als auch die Wehrmacht weitere 50-60 Soldaten ankündigten, lehnte Frau Zick aufgrund von Platzmangel die Einquartierung der Soldaten ab. Daraufhin kam aus Insterburg von der "Partei" die Anweisung, die Soldaten einzuquartieren. Daraufhin übergab Frau Zick der Wehrmacht die Südseite des Gutshauses (Parkseite). Sie selbst bewohnte dann mit ihren Angehörigen und Bediensteten die Zimmer der Hofseite.
Die Parkseite des Gutshauses. Dort wurde die Wehrmacht einquartiert.
Da man bereits zu dieser Zeit ahnte, dass die Russen auch Paradeningken überrollen würden, begann man damit, größere Teile des Besitzes per Bahn zu Verwandten "ins Reich" zu schicken. Das stellte sich im Nachhinein als richtig heraus, denn alles was auf den Treck mitgenommen wurde, ging verloren.


Weihnachten 1944

Das Weihnachtsfest konnte in aller Ruhe gefeiert werden. Der Weihnachtsbaum wurde im Beisein der Gefolgschaftskinder entzündet und es gab bunte Teller und bescheidene Gaben. Der neue Schmied spielte den Weihnachtsmann und die Kinder sagten ihre Gedichte auf. Nachdem "Stille Nacht, heilige Nacht" gesungen wurde, las Frau Zick aus der Familienbibel das Weihnachtsevangelium vor.

Von den einquartierten Wehrmachtssoldaten hörte man, dass der Russe seine Truppen wohl bis Mitte Januar zusammengezogen hat und dann einen weiteren Durchbruchsversuch starten wird.


Räumungsbefehl

Am 12.01.1945 war nachts erstmals Kanonendonner zu hören. Tagsüber war wieder alles ruhig. Die einquartierten Soldaten fragten nun regelmäßig nach, ob der Räumungsbefehl schon eingetroffen sei. Die Zicks mussten das stets verneinen.

Am 15.01.1945 herrschte reger Flugverkehr und am 17.01.1945 bestellte Frau Zick noch Sämereien in Erfurt. Obwohl klar war, dass die Russen auch Paradeningken erreichen würden, ist diese Sämereienbestellung doch ein sicheres Zeichen dafür, dass man davon ausging, dass Ostpreußen nur vorübergehend an die Russen fallen würde und dass man später wieder heimkehren könne.

Am 19.01.1945 kam dann endlich der Packbefehl und am gleichen Tag ging dann auch der Räumungsbefehl ein. Die Räumung sollte am 22.01.1945 um 5 Uhr erfolgen.

Die wichtigsten Sachen, die mit auf den Treck sollten, waren schon im Oktober 1944 gepackt worden. Es wurden nun die Weckkisten gepackt. Säcke für die Räucherwaren wurden vorbereitet und in den Schlafzimmern lagen Säcke für die Betten bereit, falls der Aufbruch doch plötzlich erfolgen musste.

Die Treckwagen, an denen man bereits gebogene Weidenruten als Dachgerüst befestigt hatte, wurden als Schutz vor Wind und Wetter mit Teppichen abgedeckt. Mit auf den Treck genommen wurden unter anderem:

  • gute Teppiche
  • Wäschekörbe
  • Wäscheleinen
  • Mehl
  • Zucker in Zentnern
  • alles eingeschlachtete von drei Schweinen
  • Küchengeräte
  • fünf gefrorene Hasen
  • Besen
  • Küchenkräuter
  • Sämereien
  • eine Flasche Rum
  • eine Flasche Cognac
  • echten Tee
  • eine Kiste mit 50 Flaschen Moselwein
  • eine gebratene Ente
  • Eimer
  • alle Lebensmittel
  • Butter für drei Wochen
  • Geschirr
  • Nähmaschine
  • sechs geschlachtete Gänse
Zurückgelassen werden mussten 240 Rinder (davon 117 Milchkühe), Fohlen, Schafe, Schweine und Geflügel. Seit Herbst 1944 befanden sich auf den Paradeningker Feldern bereits mehrere hundert Kühe, die von Flüchtlingen zurückgelassen wurden. Sie sollten ursprünglich mit der Bahn in Richtung Westen abtransportiert werden, was jedoch nicht erfolgte.

Die Paradeningker waren froh, dass man die Pferde nicht abgeschafft hatte, obwohl es inzwischen zwei Trecker auf dem Gut gab. Die Trecker konnten nämlich nicht mit auf die Flucht genommen werden, da es keinen Treibstoff mehr gab.
Der Schweizer Otto Bartkowiak mit Paradeningker Kühen und Pferden.
Militärische Lage westlich von Insterburg am 21.01.1945

Die 1. Gde-Armee (russisch) stand nördlich des Pregels. Ziel war die Reichsstraße 1 (Königsberg - Insterburg), auf der man rasch nach Königsberg vorrücken wollte. Da die Reichsstraße 1 südlich des Pregels lag, musste der Fluss überquert werden. Dazu bot sich die Saalauer Brücke (Norkitten - Siemohnen) an. Von dort sind es nur 1,5 km bis Paradeningken.

Die 5. Panzerdivision und die 1. Infanteriedivision (beide deutsch) fingen die 11. Gde-Armee auf dem Weg zur Pregelbrücke ab. Am Abend gelang es einem russischen Panzerbatallion die 5. Panzerdivision westlich zu umgehen, mit dem Ziel die Pregelbrücke zu erreichen. Als das von deutscher Seite bemerkt wurde, fuhr die schwere Panzerabteilung 505, die der 5. Panzerdivision unterstellt war, mit Höchstgeschwindigkeit gen Westen. Nach ca. 7 km wurde das feindliche Panzerbatallion erreicht und es konnte ein Teil der 30 feindlichen Panzer abgeschossen werden. Der Rest flüchtete. Daraufhin wurde die Pregelbrücke von deutscher Seite gesichert und zur Sprengung vorbereitet. Zwischenzeitlich passierten unzählige Flüchtlingstrecks die Brücke.
Die Saalauer Brücke im Jahr 2010.
Der Treck

Der Treck sollte ursprünglich am 22.01.1945 um 5 Uhr starten und in Tiegenhof bei Elbing enden. Dort sollten die Paradeningker auf verschiedene Güter verteilt werden. Aufgrund der nahenden Bedrohung wurde die Abfahrtszeit auf den 21.01.1945 vorverlegt. Am Morgen des 21.01. wurde gegen 7 Uhr noch ein Hauptverbandplatz nach Paradeningken verlegt, der aber bereits nachmittags schon weiter verlegt werden musste. Abends sollen dann schon die Russen in Paradenigken gewesen sein.

Der Paradeningker Treck war folgendermaßen aufgebaut: vorne mit den Vierspännern die Gefolgschaftsleute mit dem Kämmerer an der Spitze, dann die beiden Wagen mit dem Hafer und dem Heu, dann der Wagen mit dem Habe der Gutsherrschaft (der bereits am zweiten Tag verlorenging) und zum Schluß der offene und der gschlossene Wagen der Gutsherrschaft. Der offene Wagen wurde vom Polenjunge Leo gefahren. Im offenen Wagen saßen Friedrich Zick, seine Tochter Gretel und der Hauswirtschaftslehrling Hilde Schmid. Der Kutscher des geschlossenen Wagen war Gerhard Zahn. Bei ihm im Wagen saßen Frau Zick und die Bedienstete Fräulein Gutzeit.
Die ersten beiden Wagen des Paradenigker Trecks beim Verlassen des Gutes am 21.01.1945. Im zweiten Wagen saßen meine Ur-Großmutter und Großmutter. Ein Ölgemälde des Berufsmalers Lukas Wirp.
Der Weg vom Gut bis zur Rechsstraße 1 (ca. 1 km) war in kurzer Zeit bewältigt, dann dauerte es jedoch bis es dem Kämmerer gelang, der Paradeningker Treck geschlossen in den endlosen Treck, der sich über die Reichsstraße 1 quälte, einzuschleusen. Norkitten wurde um 16 Uhr passiert, d.h. man hatte für die ersten 5 km auf der Reichsstraße ca. 3 Stunden benötigt.

Der Treck sollte über Albrechtsthal, Jägertal und Eschenbruch gehen. In der Nähe von Albrechtsthal, es war bereits dunkel, war plötzlich Artillerie- und Maschinengewehrfeuer zu hören. Später erfuhr man, dass das schon die Russen waren, die zu dieser Zeit bereits Wirbeln und die Saalauer Brücke beschossen haben sollen.

Vor Albrechtsthal stellte Frau Zick fest, dass ihr Mann mit dem offenen Wagen fehlte. Es stellte sich heraus, das der Paradeningker Heuwagen mit einem Rad in den Graben gerutscht war und Herr Zick dort Hilfe leisten wollte. Frau Zick scherte in Eschenbruch mit ihrem Wagen aus dem Treck aus, um auf ihren Mann zu warten. Dort traf sie auf einen Paradenigker Wagen, der vom "alten Wiesemann" (vermutlich Karl Wiesemann) gelenkt wurde. Sie erfuhr, dass der Heuwagen wieder unterwegs war und dass Herr Zick dann auch bald kommen müsste. Da Frau Zick mit ihrem Wagen ursprünglich am Ende des Paradeningker Trecks fuhr, sie dann beim Warten auf ihren Mann in Eschenbruch jedoch auf den alten Wiesemann traf, der eigentlich vor ihr im Treck war, spricht dafür, dass der Paradenigker Treck zu dieser Zeit bereits nicht mehr geschlossen unterwegs war.

Während des Wartens auf ihren Mann fütterte ein Wehrmachtssoldat ungefragt die Pferde. Frau Zick gab ihm dafür Zigaretten. Von Panzersoldaten erhielt sie die Information, dass der Russe bald eintreffen würde. Daraufhin reihte sie sich, ohne ihren Mann gefunden zu haben, wieder in den Treck ein. Die Panzersoldaten brachen ebenfalls auf. Sie fuhren parallel zum Treck weg von der Front. Da das Militär Vorfahrt hatte, kam der Treck nur langsam vorwärts. Am 22.01.1945, morgens um 9 Uhr, standen sie vor Wehlau, das man von Paradeningken aus normalerweise in 2 Stunden erreicht. Sie hatten für den Weg ca. 20 Stunden gebraucht!

Hinter Groß Eschenbruch beschädigte ein Panzer einen der Gefolgschaftswagen. Der Wagen war so stark beschädigt, dass er nicht mehr weiterfahren konnte und zurückbleiben musste. Damit verloren die "alten Czarnitzki" (vermutlich Ludwig und Liesette Czarnitzki), Otto Czarnitzki und Frau Klein ihr Hab und Gut. Die Pferde hatten den Unfall mit dem Panzer gut überstanden. Der alte Czarnitzki ritt nun mit ihnen weiter. Frau Zahn und die alte Frau Czarnitzki fuhren im Wagen von Frau Zick mit, Hildegard Czarnitzki und die Töchter von Frau Zahn auf einem LKW.
Liesette Czarnitzki (sie ist vermutlich die "alte Czarnitzki")
Als es am nächsten Morgen hell wurde, bemerkte Frau Zick, dass sie mit ihrem Wagen ganz alleine auf der Straße waren. Gerhard Zahn und die alte frau Czarnitzki, die beide auf dem Kuschbock saßen, waren wohl eingeschlafen und hatten so den Treck verloren. Sie fuhren in Richtung Wehlau, konnten jedoch nicht in die Stadt, da sie unter Beschuss lag. Sie schlossen sich daraufhin einem Treck in Richtung Allenburg an. Frau Zick hoffte, dort ihren Mann zu finden.

Vor Klein Nuhr mussten sie die Straße verlassen und auf einen Feldweg ausweichen, da die Straße für das Militär benötigt wurde. Der Feldweg führte später wieder auf diese Straße, allerdings war die Straße schon voll mit Treckwagen, die aus anderer Richtung ebenfalls auf diese Straße geleitet wurde. Es dauerte mehrere Stunnden, bis sie sich einreihen konnten. Zwischenzeitlich hatten sie einen Paradeningker Wagen gefunden. Es handelte sich um den Haferwagen, der vom Polen Nowakowski gefahren wurde. Die Nowakowskis waren erst seit kurzem auf dem Gut gewesen. Man vereinbarte, dass man sich in Klein Nuhr treffen  wollte. Da Frau Zick in Klein Nuhr direkt einen der ersten Bauernhöfe anfahren ließ, trafen sie den Polen mit dem Haferwagen nicht mehr. In der gut gefüllten Scheune konnten die Pferde abgefüttert und getränkt werden. Nach einer Stunde ging es weiter.

Hinter Klein Nuhr trafen sie auf den Paradenigker Treck, der fast vollständig war. Es fehlte der Haferwagen und der Wagen mit dem Schmiedemeister. Der Kämmerer, der den Treck noch immer leitete, sagte ihnen, dass sie in Groß Koppershagen die Nacht verbringen wollen. Frau Zick riet davon ab, da die Russen schon zu nah waren. Frau Zick erhielt die Auskunft, dass Herr Zick weiter vorne im Treck sei. Daraufhin ließ Frau Zick den Treck überholen, um ihren Mann zu suchen. Leider fand sie ihn nicht.

Kurz vor Groß Koppershagen wurde der Treck auf eine Chaussee geleitet, die an Groß Koppershagen vorbeiführte. Gegen Mitternacht trafen Frau Zick und ihre Mitfahrer auf den Schmiedemeister mit seinem Wagen. Auf dessen Wagen fuhr Lina Wannags (meine Ur-Großmutter) mit. Sie berichtete, dass sie ihren Mann Friedrich Wannags (mein Ur-Großvater) vor kurzem zufällig getroffen hatte. Er war bereits im Herbst 1944 zum Volkssturm eingezogen worden. Leider haben sich die beiden hier zum letzten Mal gesehen, denn Friedrich ist am 04.02.1945 ca. 2 km südlich von Frauenburg als Volkssturmmann gefallen.
Friedrich Wannags (1941)
Zusammen brachen die beiden Wagen in Richtung Allenburg auf. Gegen 16 Uhr trafen sie vor Allenburg ein. Dort verloren sie den Schmied wieder, da sie auf ein Feld auswichen, um den Treck zu überholen. Das war mit dem Wagen des Schmieds nicht möglich. Abends passierten sie in Allenburg einige Häuser. kamen dann jedoch in einen Wald, wo sie plötzlich ganz alleine waren. Da man in der Vergangenheit immer wieder von Partisanen gehört hatte, stellt sich ein ungutes Gefühl ein.

Nachts passierten sie zwei Straßensperren der Wehrmacht. Die Soldaten waren wahrscheinlich die Nachhut, die auf die Russen wartete. Gegen 2 Uhr kamen sie an einem Gehöft vorbei, das hell erleuchtet war. Obwohl eine Pause notwendig gewesen wäre, fuhren sie weiter, da sie befürchteten, dass es sich um Partisanen handeln könnte. Als es in den Morgenstunden bereits dämmerte, erreichten sie eine Straße, die mit Treckfahrzeugen gefüllt war. Sie schlossen sich dem Treck an.

Gegen 8 Uhr waren sie in der Nähe von Friedland. Hier kam es zu einem mehrstündigen Stillstand, da die Brücke über die Alle total verstopft war. Plötzlich ging die Nachricht rum, dass noch ein letzter Zug in Richtung Westen abgehen sollte. Um den Zug rechtzeitig zu erreichen, sollten die Flüchtlinge das Notwendigste mitnehmen und die Brücke zu Fuß passieren. Daraufhin machten sich Frau Zick und ihre Begleiter zu Fuß auf den Weg zum Bahnhof. Da Frau Zick der Weg zu weit wurde, kehrten sie um, um doch mit der Kutsche weiterzufahren. Gerhard Zahn wurde vorausgeschickt, um die Kutsche zu holen. Als er an der Kutsche eintraf, waren die Pferde bereits ausgespannt und die Kutsche geplündert. Es fehlten die Fahrpelze, die Wintermäntel und die Decken. Gerhard Zahn spannte die Pferde wieder an und fuhr Frau Zick und den anderen entgegen. Nachdem alle die Kutsche bestiegen hatten, ging es weiter in Richtung Friedland, wo sie übernachten wollten. Dort trafen sie Herrn Zick.

Früh morgens am 24.01.1945 brachen sie in Richtung Landsberg auf. Die Fahrt ging über Domnau und Preußisch Eylau. Da die Straßen frei waren, trafen sie bereits am frühen Vormittag in Landsberg ein. Dort konnten sie bei einer hilfsbereiten Familie Kartoffeln kochen. Im Raiffeisenhaus fanden sie eine Unterkunft. Dort konnten sie auch die Pferde füttern und tränken.

Da sie die Möglichkeit hatten, die Unterkunft mehrere Nächte zu nutzen, wurde entschieden, dort zu bleiben, in der Hoffnung, den Paradeningker Treck zu finden. Während der Suche nach dem Treck trafen sie auf einen Bauern aus Ackmenischken, der die Paradeningker noch am selben Tag gesehen hatte. Leider fanden die Zicks den Treck nicht.

Am 01.02.1945 kam der Räumbefehl für Landsberg. Am 02.02. wurde Landsberg deswegen im großen Treck verlassen. Abends kamen die beiden Wagen in Abbau Buchholz an. Dort konnten sie auf dem Hof des Bauern Radtke übernachten.

Am Morgen des 03.02. ging es weiter. Sie kamen nur schleppend voran, da der Treck durch die Wehrmacht mehrfach umgeleitet wurde. Unterwegs trafen sie einen Gastwirt aus Langenwalde. Der nahm sie mit in sein Gasthaus. Dort konnten sie die Nacht verbringen. Es wurde später berichtet, dass der Paradeningker Treck an diesem Tag um Landsberg herumgeleitet wurde. Sie waren dem Treck also voraus.

In der Nähe von Sonnenstrahl machten sie Halt. und versuchten im Abbau Sonnenstrahl Unterkunft zu finden, was jedoch nicht gelang. Herr Direclee, der mal Verwalter in Puschdorf war und den sie getroffen hatten, versuchte in Braunsberg Unterkunft für alle zu finden. Dies gelang ebenfalls nicht. Auch verkaufte ihnen niemand Hafer für die Pferde.

Sie fuhren weiter und kamen in einen Wald, wo sie einen Fliegerangriff erlebten. Als sie das Gut Damerau erreichten, gab es erneut Fliegerangriff. Auch den überstanden sie unbeschadet. Auf dem Gut erhielten sie Unterkunft für die Nacht. Morgens (Montag, 05.02.1945) sollte es weitergehen. Da die Sicht jedoch sehr gut und die Fliegeraktivität hoch war, entschied man, erst am 06.02.1945 weiterzufahren.

Morgens um 7 Uhr fuhren sie los in Richtung Braunsberg. Als sie an Braunsberg vorbeikamen, brannte die Stadt. Hier erfuhren sie, dass sie zum Haff geleitet werden sollen. Unterwegs trafen sie den Norkitter Treck. Der Paradeningker Gärtner Wirth hatte sich mit seinem Vierspänner dem Treck angeschlossen, fuhr nun aber mit den Zicks weiter.

Da nun sämtliche Treckwagen in Richtung Alt Passarge auf das Haff geleitet wurden, ging es nur stockend oder gar nicht vorwärts. Vor Rossen standen sie ca. 48 h auf der Stelle. Am 08.02.1945 kamen sie in Rossen an. Dort gab es Essen aus der Soldatenküche.

Am 09.02.1945 trafen sie in Alt Passarge ein. Mittags standen sie vor dem zugefrorenen Haff. Inzwischen hatte Tauwetter eingesetzt. Bevor sie auf das Haff fahren durften, wurde ihnen noch ein Ehepaar zugeteilt, das freiwillig im offenen Wagen mitfuhr. Die Wahrscheinlichkeit, sich beim Einbruch ins Haff aus einem offenen Wagen zu retten, war deutlich größer, als beim Einbruch eines geschlossenen Wagens. Anschließend wurde ihnen dann noch eine Frau für den geschlossenen Wagen zugeteilt.

Sie fuhren um 13 Uhr auf das Haff. Die Wehrmacht ordnete die Wagen auf dem Eis. Wegen der Einbruchgefahr mussten die Wagen mindestens 50 m Abstand halten. Unterwegs kamen sie an mehreren verbrannten Autos vorbei. Die waren vor einigen Tagen von russischen Fliegern beschossen worden. Da dadurch der ursprüngliche Weg über das Haff versperrt war, musste ein neuer Weg angelegt werden. Das führte zu den bereits erwähnten Staus bei Rossen und Alt Passarge.

Blick von Frauenburg aus über das Haff. Im Hintergrund die Frische Nehrung.
Als sie um 17 Uhr Neukrug auf der Nehrung erreichten, suchten sie sich eine geschützte Stelle für die Nacht. Die Fahrt über die Nehrung sollte acht Tage dauern. An den Wegrändern lagen regelmäßig Pferdeleichen, tote Menschen, teilweise aufgebahrt, in Laken eingeschlagen oder einfach abgelegt. Da die meisten Treckwagen nicht mehr so stark beladen waren, wurden nun Verwundete auf die Wagen geladen. Wenn das Militär überholen wollte, mussten sie Platz machen, was zu Zwangspausen führte. Gefahren wurde nur tagsüber. Nachts wurde angehalten und geschlafen.

Lebensmittel wurden knapp. Trinkwasser gab es nirgendwo, deswegen wurde Schnee geschmolzen. Kartoffeln hätte man von Bauern mitnehmen können, bei den herrschenden Temperaturen wären sie jedoch sofort erfroren.

Am 15.02.1945 waren die beiden Füchse vor dem offenen Wagen erschöpft. Deswegen wurden die Vorpferde vom Vierspänner des Gärtners Wirth vor den offenen Wagen gespannt und die beiden Füchse als Vorpferde vor den Vierspänner.

In Kahlberg wollte man Lebensmittel und Pferdefutter kaufen. Die Wehrmacht leitete sie jedoch an Kahlberg vorbei, mit der Aussage, dass es in Stutthof alles gäbe. Stutthof war nur 14 km entfernt, bei der aktuellen Reisegeschwindigkeit würde man dafür jedoch zwei Tage benötigen.

Auf dem Weg nach Stutthof bekamen sie von der NSV drei Scheiben Brot pro Person. Da man sich mehrmals anstellte, konnte ein kleiner Vorrat angelegt werden.

An einem der Tage auf der Nehrung rutschte Herr Wirth mit seinem Vierspänner in den Graben. Er konnte wieder auf den Weg zurück gebracht werden, fiel dadurch jedoch zurück.

Die Aussage der Soldaten, dass es in Stutthof Lebensmittel und Pferdefutter gebe, stellte sich als falsch heraus. Deswegen fuhren sie weiter nach Groß Steegen. Dort versuchten sie, Hafer oder Heu für die Pferde zu kaufen. Beides gab es nicht, dafür jedoch wenigstens Haferstroh. Damit waren die Pferde erstmal versorgt. Bei der NSV gab es für Flüchtlinge eine Suppe mit reichlich Fleisch. Beim Bäcker in Groß Steegen konnte Roggen gegen Brot getauscht werden.

Unterwegs versuchte Herr Zick Roggen zu kaufen. Er wäre bereit gewesen, jeden Preis zu zahlen. Die Bauern behielten den Roggen jedoch, um ihn den nahenden Russen zu übergeben.

Sie erreichten die erste Fähre, mit der sie im Dunkeln übersetzen konnten. Die zweite Fähre erreichten sie nicht mehr, da ein Pferd streikte. Sie suchten deswegen nach einer Unterkunft. Auf einem Gut wurden sie abgewiesen. Wehrmachtssoldaten schickten sie zum Haus eines Fuhrhalters. Der Fuhrhalter versorgte die Pferde, konnte ihnen jedoch keinen Schlafplatz anbieten, da bereits alles belegt war.

Morgens war das Pferd immer noch nicht belastbar. Es litt wahrscheinlich unter einer Kolik. Der Fuhrhalter bot ihnen ein Pferd an, das eigentlich zum Schlachter sollte. Sie vereinbarten mit dem Fuhrhalter, dass sie das Pferd bis nach Danzig mitnehmen würden und es dort an Bekannte des Fuhrhalters übergeben würden.

Am 16.02.1945 ging der Treck weiter Richtung Bohnsack. Sie starteten um 8 Uhr und erreichten die Fähre Bohnsack um 16 Uhr. Sie hatten für die 6 km mehr als 8 Stunden benötigt. Vor der Fähre gab es Stau. Da es Herrn Zick nicht gut ging, holte man sich von der Polizei die Genehmigung, den Treck zu überholen, um dann zügig mit der Fähre übersetzen zu können. Nachts kamen sie in Danzig an. Dort suchten sie sofort den Bekannten des Fuhrhalters auf und übergaben das Pferd. Gegen Mitternacht trafen sie bei Herrn Zicks Schwester ein. Bei ihr blieben sie 8 Tage.

Da Herr Zick krankheitsbedingt nicht mehr mit der Kutsche weiterfahren konnte, entschied man, mit der Bahn weiterzufahren. Pferde und Wagen wurden an den Bekannten des Fuhrhalters verkauft, mit der Option, sie zurückkaufen zu können, falls sie in die Heimat zurück könnten.

Sie suchten die Landesbauernschaft in Danzig auf. Dort hingen Listen aus, in die man sich mit aktuellem Aufenthaltsort eintragen konnte. Auf den Listen fanden sie drei Paradeningker: Frau Behnert (Frau des Kämmerers), Frau Hirschbeck (Frau des Obermelkers) und Hildegard Czarnitzki (Enkelin der alten Frau Czarnitzki). Die drei Frauen wurden benachrichtigt, woraufhin sie die Zicks besuchten. Sie berichteten folgendes:
Ein Teil des Paradeningkers Trecks war am 2. Tag nicht rechts nach Kroppershagen abgebogen, sondern geradeaus gefahren. Als der Kämmerer das bemerkte, fuhr er hinterher, um sie zu suchen. Dabei wurde er von den Russen gefangengenommen und zwei Tage inhaftiert. Ihm gelang die Flucht und er soll durchnässt und vereist seinen Treck wiedergefunden haben. Der Treck ging weiter Richtung Landsberg. In Groß Püsten haben sie mehrere Tage gelegen. Als sie an Landsberg vorbeigeleitet wurden, kamen sie unter Artillieriebeschuss und gerieten in einen Fliegerangriff. Die Männer wiesen den Frauen und Kindern an, bis nach Groß Zinten vorauszulaufen, um dem Beschuss zu entgehen. In Groß Zinten sollten sie auf die Wagen mit den Männern warten. Leider warteten sie dort vergeblich.

Inzwischen war auch der Gärtner Wirth in Danzig eingetroffen und besuchte die Familie Zick.

Am 21.02.1945 erhielten sie den Befehl zum Sammeln und zum Abtransport per Omnibus zur Bahn. Über Kolberg und Stettin fuhren sie nach Berlinb und von dort weiter zu Verwandten. Damit endete die Flucht der Gutsherrschaft.

Ich möchte mich ausdrücklich bei der verstorbenen Margarete Mertinkat bedanken, die mir den Fluchtbericht ihrer Großmutter Margarete Zick überließ.

Copyright© 2024 Andreas Hamdorf. Alle Rechte vorbehalten.
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